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Hör-Lyrik

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By Benjamin Lucas

Lyrik zum Hören. Gelesen von Benjamin Lucas. Jeden Sonntag um 20 Uhr.
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Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege

Hör-LyrikFeb 26, 2022

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04:30
Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege

Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege

Krieg dem Kriege

Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit –!

Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr …

Und wenn mal einer auf Urlaub war,
sah er zu Haus die dicken Bäuche.
Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
„Krieg! Krieg! Großer Sieg!
Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“
Und es starben die andern, die andern, die andern …

Sie sahen die Kameraden fallen.
Das war das Schicksal bei fast allen:
Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
und man trug sie fort und scharrte sie ein.
Wer wird wohl der nächste sein?

Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
Werden die Menschen es niemals lernen?
Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
Wer ist das, der da oben thront,
von oben bis unten bespickt mit Orden,
und nur immer befiehlt: Morden! Morden!
Blut und zermalmte Knochen und Dreck …
Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
Der Kapitän hat den Abschied genommen
und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
Ratlos stehen die Feldgrauen da.
Für wen das alles? Pro patria?

Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
Brüder! das darf nicht wieder sein!
Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
ist das gleiche Los beschieden
unsern Söhnen und euern Enkeln.
Sollen die wieder blutrot besprenkeln
die Ackergräben, das grüne Gras?
Brüder! Pfeift den Burschen was!
Es darf und soll so nicht weitergehn.
Wir haben alle, alle gesehn,
wohin ein solcher Wahnsinn führt –

Das Feuer brannte, das sie geschürt.
Löscht es aus! Die Imperialisten,
die da drüben bei jenen nisten,
schenken uns wieder Nationalisten.
Und nach abermals zwanzig Jahren
kommen neue Kanonen gefahren. –
Das wäre kein Friede.

                                   Das wäre Wahn.
Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
Will das niemals anders werden?
Krieg dem Kriege!
                          Und Friede auf Erden.

Feb 26, 202204:30
Erich Kästner: Kennst du das Land?

Erich Kästner: Kennst du das Land?

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Büros, als wären es Kasernen.

Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -
steht der Verstand erst stramm und zweitens still.
Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezognem Scheitel auf die Welt.
Dort wird man nicht als Zivilist geboren.
Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen?
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
Das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

Feb 13, 202202:40
Goethe: Harfenspieler

Goethe: Harfenspieler

Harfenspieler

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß.

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,

Ihr lasst den Armen schuldig werden,

Dann überlasst ihr in der Pein:

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Jan 31, 202200:54
Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...

Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.


Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.


Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.



Jan 09, 202201:20
Rilke: Da stieg ein Baum... (Sonette an Orpheus, I.1)

Rilke: Da stieg ein Baum... (Sonette an Orpheus, I.1)

Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
gelösten Wald von Lager und Genist;
und da ergab sich, daß sie nicht aus List
und nicht aus Angst in sich so leise waren,

sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.  


Aus: Rainer Maria Rilke. Die Sonette an Orpheus, Erster Teil (1922)

Gelesen von Benjamin Lucas (C) 2021

Jan 03, 202201:43
Hölderlin: Die Liebe

Hölderlin: Die Liebe

Die Liebe


Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,

O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,

  Gott vergeb' es, doch ehret

     Nur die Seele der Liebenden.


Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,

Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?

  Darum wandelt der Gott auch

     Sorglos über dem Haupt uns längst.


Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist

Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld

  Grüne Halme doch sprossen,

     Oft ein einsamer Vogel singt,


Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,

Schon die mildere Luft leise von Mittag weht

  Zur erlesenen Stunde,

     So ein Zeichen der schönern Zeit,


Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,

Einzig edel und fromm über dem ehernen,

  Wilden Boden die Liebe,

     Gottes Tochter, von ihm allein.


Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir

Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen

  Nektars Kräfte dich nähren,

     Und der schöpfrische Strahl dich reift.


Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,

Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden

  Sei die Sprache des Landes,

     Ihre Seele der Laut des Volks! 


Friedrich Hölderlin

Dec 22, 202102:17
Goethe: Weihnachten

Goethe: Weihnachten

Weihnachten.


Bäume leuchtend, Bäume blendend,

     Ueberall das Süße spendend,

     In dem Glanze sich bewegend,

     Solch ein Fest ist uns bescheret,

     Mancher Gaben Schmuck verehret;

     Staunend schaun wir auf und nieder,

     Hin und her und immer wieder.


Aber, Fürst, wenn Dir’s begegnet

     Und ein Abend so Dich segnet,

     Daß als Lichter, daß als Flammen

     Vor Dir glänzten allzusammen

     Alles was Du ausgerichtet,

     Alle die sich Dir verpflichtet:

     Mit erhöhten Geistesblicken

     Fühltest herrliches Entzücken. 


Johann Wolfgang von Goethe

Dec 21, 202101:02
Hölderlin: Winter

Hölderlin: Winter

Winter


    Wenn sich das Laub auf Ebnen weit verloren,

    So fällt das Weiß herunter auf die Tale,

    Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle,

    Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren.


    Es ist die Ruhe der Natur, des Feldes Schweigen

    Ist wie des Menschen Geistigkeit, und höher zeigen

    Die Unterschiede sich, daß sich zu hohem Bilde

    Sich zeiget die Natur, statt mit des Frühlings Milde. 


Höldelrin


Dec 20, 202101:06
Goethe: Lass nur die Sorge sein

Goethe: Lass nur die Sorge sein

Laß nur die Sorge sein,

Das gibt sich alles schon;

Und fällt der Himmel ein,

Kommt doch eine Lerche davon.


(C) Benjamin Lucas

Dec 19, 202100:23
Hölderlin: Der Winter

Hölderlin: Der Winter

Der Winter    

   Wenn sich der Tag des Jahrs hinabgeneiget

    Und rings das Feld mit den Gebirgen schweiget,

    So glänzt das Blau des Himmels an den Tagen,

    Die wie Gestirn in heitrer Höhe ragen.


    Der Wechsel und die Pracht ist minder umgebreitet,

    Dort, wo ein Strom hinab mit Eile gleitet,

    Der Ruhe Geist ist aber in den Stunden

    Der prächtigen Natur mit Tiefigkeit verbunden. 


Friedrich Hölderlin

Dec 18, 202100:55
Stefan George: Nun lass mich rufen...

Stefan George: Nun lass mich rufen...

Nun lass mich rufen über die verschneiten
Gefilde wo du wegzusinken drohst:
Wie du mich unbewusst durch die gezeiten
Gelenkt - im anfang spiel und dann mein trost.

Du kamst beim prunk des blumigen geschmeides ·
Ich sah dich wieder bei der ersten mahd
Und unterm rauschen rötlichen getreides
Wand immer sich zu deinem haus mein pfad.

Dein wort erklang mir bei des laubes dorren
So traulich dass ich ganz mich dir befahl
Und als du schiedest lispelte verworren
In seufzertönen das verwaiste tal.

So hat das schimmern eines augenpaares
Als ziel bei jeder wanderung geglimmt.
So ward dein sanfter sang der sang des jahres
Und alles kam weil du es so bestimmt.

Dec 17, 202101:27
Wilhelm Busch: Niemals

Wilhelm Busch: Niemals

Niemals

Wonach du sehnlich ausgeschaut,

Es wurde dir beschieden.

Du triumphierst und jubelst laut:

Jetzt hab ich endlich Frieden!

Ach, Freundchen, rede nicht so wild.

Bezähme deine Zunge.

Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,

Kriegt augenblicklich Junge.

Dec 16, 202100:38
Rilke: O Leben Leben, wunderliche Zeit

Rilke: O Leben Leben, wunderliche Zeit

O Leben Leben, wunderliche Zeit
von Widerspruch zu Widerspruche reichend
im Gange oft so schlecht so schwer so schleichend
und dann auf einmal, mit unsäglich weit
entspannten Flügeln, einem Engel gleichend:
O unerklärlichste, o Lebenszeit.

Von allen großgewagten Existenzen
kann einer glühender und kühner sein?
Wir stehn und stemmen uns an unsre Grenzen
und reißen ein Unkenntliches herein,
.................................

Dec 14, 202101:10
Rilke: Manchen ist sie wie Wein

Rilke: Manchen ist sie wie Wein

Manchen ist sie wie Wein, der das Glänzen des Glases
herrlich hinzunimmt in sein innres Geleucht,
andere atmen sie ein wie die Blüte des Grases,
oder sie schwindet vor ihnen, verfolgt und verscheucht.

Vielen erneut sie das heimliche Hören und steigert
jeden Anklang an sie der geklärten Natur.
Schmähe sie keiner, dem sie sich scheinbar verweigert,
der nur den Raum ihrer Wohnung erfuhr;

ja nur das Tor, den Bogen, den plötzlich bekränzten,
ja nur den Weg, von dessen Biegung es heißt,
dass sie die letzte sei vor dem immerbeglänzten
Haus, wo die Herzen, getränkt und gespeist,

stark sind und sicher. Wo sie das sind, was sie meinten,
wenn sie verlangten nach Tag und Ertrag
und aus langen, verlorenen oder verweinten
Nächten aufschlugen mit schrecklichem Schlag.

Denn auch jene, nichts als sich Sehnenden leisten,
nur unscheinbar verteilter, den ganzen Bezug;
ihre stark glänzenden Herzen umkreisten
Welten aus Nacht in vollendetem Bug.

Dec 13, 202102:12
Stefan George: Da waren Trümmer nicht...

Stefan George: Da waren Trümmer nicht...

Da waren trümmer nicht noch scherben
Da war kein abgrund war kein grab
Da war kein sehnen war kein werben:
Wo eine stunde alles gab.

Von tausend blüten war ein quillen
Im purpurlicht der zauberei.
Des vogelsangs unbändig schrillen
Durchbrach des frühlings erster schrei.

Das war ein stürzen ohne zäume
Ein rasen das kein arm beengt –
Ein öffnen neuer duftiger räume
Ein rausch der alle sinne mengt.


(C) Benjamin Lucas

Dec 12, 202101:07
Rilke: Zum Einschlafen zu sagen

Rilke: Zum Einschlafen zu sagen

Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.


(C) Benjamin Lucas.

Dec 11, 202101:46
Rilke: An Sidonie Nádherný von Borutin. 1907. Aus Oberneuland.

Rilke: An Sidonie Nádherný von Borutin. 1907. Aus Oberneuland.

Wenn so ein Weihnachten herankam und zögerte und plötzlich da war, so nah vor dem Herzen, wie ein Berg an dem man nicht hinaufsehn kann, – welches Erleben erlebten wir da nicht? Welche Erwartung blieb außerhalb, welche Freude wurde uneröffnet zurückgelegt; und wieviel Schicksal war aufgelöst in alledem, wieviel von Traurigkeit und Tod tranken wir mit einem Tropfen Enttäuschung, der süß war wie alles andere und doch so anders in seiner Süße –.

Ich merke nun, wie sehr es in der Arbeit wiederkommen will, dieses Alles-in-Allem-sein, das die Kindheit war.

Dec 10, 202101:24
Rilke: Brief an die Mutter. 1916. Aus München.

Rilke: Brief an die Mutter. 1916. Aus München.

Als ich Dir vor einem Jahr, von Wien aus, meinen Weihnachtsbrief sandte, da dachte ich unwillkürlich, die nächsten Weihnachten würde, müßte die Welt wieder im Heilen sein. Sie ist es nicht, und wenn das Bewußtsein ihres unaufhörlichen Wund- und Geschlagenseins über jedem Tag liegt, über jeder Nacht, wie sehr erst erfüllt und erschwert es das Erlebnis gerade dieses, des Heiligen Abends, des Abends, an dem zu Erden das Heil geboren wurde, das mißkannte, mißhandelte, geopferte Heil der Welt. Voriges Jahr gab es keinen in der Victorgasse, und ich weiß nicht, ob ich heuer den Glanz eines Christbaumes ertrüge, ja ob nicht das mindeste Geschenk zum Gewicht würde in meiner Hand. Es ist so viel Schwere in der Luft, daß sie in jeden Gegenstand schlägt, den man zu fassen und zu halten genötigt ist –, und das Scheinen und Flackern jedes Lichts, weit entfernt ein Schimmer zu sein, nimmt die Bedeutung der namenlosen Unsicherheit an, in der wir leben. Wer hat das Herz, eine Feier aus sich aufzubringen, wer wird die Kraft haben zum Weihnachtslied anzusetzen? Wer wird knieen dürfen und nichts als feierlich sein? Neben dem Feiern ist in jedem das stumpfe Trauern, und die Stimme, die das Weihnachtslied zu heben hat, hat an der Klage vorbeizugehen. Und das Knieen, das Erhebung bedeutet, ist dasselbe Knieen, das Unterwerfung ausdrückt unter den Druck eines den ganzen Raum ausfüllenden Schicksals. Und doch, liebe Mama, indem uns noch einmal zugemutet wird, in so schwer verhängter Welt das heilige Fest hinzunehmen, wird die Probe an uns gerichtet ob wir über uns hinaus zu feiern verstehen. Denn nicht uns feiern wir in diesem heilhaft geborenen Kind, sondern die Kräfte des höheren Geistes. Auch nicht seine Wendung zu uns, denn wir haben sie verschmäht und verleugnet und haben ihn nicht zur Einkehr zugelassen. Den Geist selbst, seine lautere Verwandlung in ein sichtbares Kind, seine Einsamkeit und Unschuld, sein Bei-uns-in-Gefahrsein beten wir an und begehen es im erhobenen Gemüt. Wir haben nichts gemein mit diesem göttlichen Kinde, als daß wirs grade noch wahrnehmen, wie die Könige und die erstaunten Hirten den Stern wahrnehmen, der über seiner Ankunft in den Himmeln ging. Dieses Kind in seiner unübertrefflichen Armut ist für uns die äußerste Stelle der Welt, das Ende unseres Augenlichts, das Fernste unseres Herzens: darum ist es so klein, ist ein Kind aus Entfernung, und wächst uns nicht auf als am Kreuze, das mitten in unserem Herzen steht. Und doch vielleicht befestigt der Zwang ein solches Fest in solcher Zeit zu feiern (das Fest der Unschuld mitten in einer Welt verstricktester Verschuldung) vielleicht bestärkt diese Not in uns den Entschluß, nie das Unsere zu preisen, sondern an den Weiten unseres Wesens uns zu heiligen. Und so sehr ich mich unfähig fühle, Weihnachten in meiner Stube anzurichten, saß ich in der Mitternachtsmette oben an der Orgel, ich stimmte gleichwohl den stärksten Psalm an und priese die unerschöpfliche Weihnacht.

(C) 2021 Benjamin Lucas.

Dec 09, 202104:50
Rilke: Brief an die Mutter. 1922. Aus Muzot.

Rilke: Brief an die Mutter. 1922. Aus Muzot.

Es ist heute der Abend vom Wunder zu reden, angesichts des Wunders der heiligen Krippe ! – So laß uns, liebe Mama, auch heute, wie seit Jahrzehnten, wie in meiner kleinsten Kindheit, staunend und freudig vor diesem heiligen Geheimnis vereinigt sein: wie sehr der gute Papa das Geschenkzimmer vorzubereiten wußte, so daß das Kinderherz hoch aufschlug beim Aufspringen der Flügeltür und meinte, wie von einer Welle der Erfüllung überwältigt zu sein. Aber wie viel gewaltiger noch, je mehr dieses eine kindliche Herz wächst und zunimmt, wie ungeheuer überlegen auch noch in ihm, dem erwachsensten Herzen, bleibt diese verschwenderische jede seiner Erwartungen überfüllende Welle, wenn sie nun nichtmehr aus dem heimlich ausgestatteten, plötzlich eröffneten Zimmer, nicht mehr vom übervollen Gabentisch, sondern von der kleinsten unscheinbarsten Stelle herüberschlägt, an der wir das Weihnachtslicht anzünden. Die Erscheinung des lieblichen Wunders durfte kleiner, geringer werden, weil wir dahingekommen sind, über dem mindesten Zeichen seiner Gegenwart, den ganzen Glanz in uns, in unserem festlichen, geordneten Gemüt wahrzunehmen. Die Bescherung hat draußen nur ein Tischchen für sich, aber die lange Tafel der Erfüllungen steht nun in unserem Herzen, umgeben von einem Glanz, der auch noch die Erinnerung an den schönsten Christbaum der Kindheit übertrifft.

Rainer Maria Rilke.

(C) 2021 Benjamin Lucas

Dec 08, 202102:14
Goethe: Der Schatzgräber

Goethe: Der Schatzgräber

Der Schatzgräber.

Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt’ ich meine langen Tage.
Armuth ist die größte Plage,
Reichthum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog’ ich Kreis’ um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatz
Auf dem angezeigten Platze:
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward’s mit einemmale
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.


Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht’: es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse seyn.

Trinke Muth des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens.
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sey dein künftig Zauberwort.

Dec 07, 202102:31
Hölderlin: Sokrates und Alcibiades

Hölderlin: Sokrates und Alcibiades

»Warum huldigest du, heiliger Sokrates,
Diesem Jünglinge stets? kennest du Größers nicht?
Warum siehet mit Liebe,
Wie auf Götter, dein Aug' auf ihn?


«Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste,
Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblickt,
Und es neigen die Weisen
Oft am Ende zu Schönem sich.

Dec 06, 202100:52
Hölderlin: Menschenbeifall

Hölderlin: Menschenbeifall

Menschenbeifall

Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
Seit ich liebe? Warum achtetet ihr mich mehr,
Da ich stolzer und wilder,
Wortereicher und leerer war?

Ach! Der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt,
Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.

Dec 05, 202101:12
Hölderlin: Hälfte des Lebens

Hölderlin: Hälfte des Lebens

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Dec 04, 202101:17
Rilke: An Clara Rilke. 1906. Aus Capri.

Rilke: An Clara Rilke. 1906. Aus Capri.

Erinnerst Du?… unsere beiden verhaltenen Weihnachtsabende? (den in der rue de l'Abbé de l'Epée, den im römischen Studio al Ponte, die beide ja so viel weniger gültig waren, weil keiner von uns bei Ruth an der Stelle sein konnte, wo alles von selbst zu Weihnachten wird, wenn die Stunde kommt) - wie sehr haben wir damals schon gefühlt, daß wir unsere Arbeit so tief mit uns vermischen müssen, daß ihre Werktage aus sich heraus zu Festen führen, zu unseren eigentlichen Festen. Alles andere ist ja nur ein Stundenplan, wie wir ihn in der Schule gehabt haben; lauter, lauter Festgesetztes und die leeren Stellen für den Sonntag und für Weihnachten und Ostern. Leere Stellen, die man mit etwas anfüllt, was zu dem Anderen, Ausgemachten in Widerspruch steht; und so ein bißchen als Ferien, haben wir alle jene Gezeiten immer noch aufgenommen, die mit dem Kalender heraufkamen, uns zerstreuend an ihnen und das Ende immer gerne hinausschiebend, obwohl wir doch schon ein Vorgefühl hatten jener aus dem eigenen Herzen stammenden Feste, die kein Widerspruch sind zu den Wochen, die sie unmerklich herbeiführen, und keine Zerstreuung und kein Hinzögern unbestimmter Tage. Nur einmal vielleicht, seit wir zusammen sind, fiel beides in dieselbe Zeit. Du weißt wann. Am zwölften hab ich jenes unbeschreiblich Weihnachtliche so stark wieder durchlebt, das damals unser einsames Haus erfüllte und nicht aufhörte, darin zuzunehmen, so daß man hätte glauben mögen, es müsse schon weit darüber hinausreichen in die kalten Tage hinein, in die langen Adventnächte; es müsse sichtbar sein selbst für die, die ferne vorüberfahren, und alles verändert haben, so daß Menschen von weit herüberkommen und schauen. Aber niemand kam, und was da stand, war nichts als ein kleines Haus, mit einem riesigen dichten Dach überhäuft, das den Menschen alltäglich schien, von dem die Engel aber vielleicht wußten, daß es die richtigen Maße habe, die, mit denen der große Raum, der es umgab, von ihnen durchmessen wird. Es war wie der kleinste Teil jenes unendlichen Maßstabes, die Maßeinheit, die immer wieder kommt und mit der man bis ans Ende reichen kann, ohne etwas anderes hinzuzufügen als immer wieder dasselbe. Du weißt?… was mir in meiner frühen Kindheit Weihnachten war; selbst noch dann, als die Militärschule mir ein wunderloses, hartes, unbegreiflich boshaftes Leben so glaubhaft vortäuschte, daß mir keine andere neben jener unverschuldeten Wirklichkeit möglich schien; selbst dann noch war Weihnachten wirklich und war das, was mit einer Erfüllung herankam, die über alle Wünsche hinausging, und wenn es über die äußersten letzten nie noch gewünschten hinaus war, dann begann es erst recht, dann faltete es, das bisher gegangen war, Flügel aus und flog, flog, bis es nicht mehr zu sehen war und man nur noch die Richtung wußte, in dem großen fließenden Licht. Und alles das hatte noch immer, immer noch Macht über mich. Und in jedem dieser Jahre, wenn ich für uns oder für Ruth ein Weihnachten aufbaute, so verachtete ich ein wenig mein Gebautes, weil es so weit hinter jenem Wunder zurückblieb, von dem ich wußte, daß es in meiner Phantasie nicht willkürlich und hemmungslos gewachsen war: so groß, so unbeschreiblich war es schon immer gewesen. Und nun saß ich am zwölften lange und dachte; dachte an die ganze tiefe Gnadenzeit, die damals durch unsere Herzen ging. Fühlte den Vorabend wieder im Wohnzimmer; den Morgen, den frühen erst, bei der Kerze, in dem das Neue anstieg, wie eine Überschwemmung Angst verbreitend und Schrecken; dann den späteren Morgen im Winterlicht mit seiner völlig neuen Ordnung, mit seiner Ungeduld, seiner bis ans Äußerste angespannten Erwartung, die an den kleinen, momentanen und greifbaren Erfüllungen zu immer stärkerer Spannung wuchs; dann dieser ganze steile Vormittag, als ob man einen Berg rasch, viel zu rasch hinanmüßte, und endlich in all dem Ungewissen, nicht Vorstellbaren, nicht Möglichen: etwas Wirkliches, eine Wirklichkeit, die in unerhörter Weise mit dem Wunde

Dec 03, 202110:17
Rilke: An die Mutter. Vor Weihnachten 1923. Aus Muzot.

Rilke: An die Mutter. Vor Weihnachten 1923. Aus Muzot.

Meine liebe gute Mama,

unsere herzliche Sechs-Uhr-Tradition hat lauter frohe und treue Eigenschaften: aber ist es nicht eine der schönsten, die sie uns zugutekommen läßt, daß wir uns nicht allein, jedes Jahr, die alte Weihnachtsfreude schenken, gegenseitig, sondern, daß dieser zwischen uns vertrauliche Gebrauch auch noch die Weihnachts-Vor-Freude aufleben und dauern läßt, die vor der geschlossenen Tür verhaltene, die immer von so starker herzklopfender Bedeutung war! Denn indem jeder von uns, infolge der Entfernung, die unsere Briefe zu überwinden haben, genötigt wird, indem er schreibt, sich einige Tage vor dem Fest schon seine ganze heimliche Gegenwart vorzustellen, ja aus ihr heraus, das zu fühlen, was den Anderen: Dir! - die Sechsuhrstunde betonen und erfüllen soll, ist er unversehens in der großen reichen Vor-Freude drin und spricht mitten aus ihr. Von nirgends her ist ja die Freude erkennbar und ergreifbar als von der Vor-Freude aus. Also, meine liebe Mama, da bin ich, in ihr, in dieser wohlbekannten Vorfreude, die Freude sein wird, wenn Du dieses liest und mich, im Innern dieser Zeilen, in Deine Arme schließest. Aber laß mich noch eine Weile bei der Vorfreude bleiben. Die habt Ihr mich ja, Du und Papa, in einer unvergleichlichen Weise, gelehrt, mittels der Vorbereitungen und Überraschungen, die bei uns zu diesem Fest gehörten. Was schlug mir das Herz, vom Geburtstag an, über den St. Nikolaus-Tag auf Weihnachten zu, und wie steigerte sich diese seine Erregtheit immer noch mehr, am 21ten, am 22ten, am 23ten, bis am seltsam ausgesparten Nachmittag des 24ten, in seinem nicht mehr zu steigernden Sturm jene Wind-Stille eintrat, die im Menschlichen mit dem Zuviel beginnt, und in deren reine Atemlosigkeit dann die Glocken, die Glockenspiele eindrangen, die dem Aufspringen der Türen zuvorflogen durch die Dämmerung des unvergleichlichen Wintertags. Vielleicht bin ich deshalb, meine liebe Mama, ein solcher Rühmer der Freude geworden (sie dem Glück, auch noch dem, was die Menschen ein großes Glück nennen, unbedenklich vorziehend), weil Ihr mich zu so großer Vorfreude erzogen habt und an diesem einen Tag, in dem so viel Erfüllung geheimnisvoll zusammenkam, meinem Herzen zumutetet, in der Leistung der Vorfreude, ein Maß der Freude anzunehmen, das völlig unaussprechlich war. Die Freude selbst war es dann ja auch: unaussprechlich. Vielleicht schlug in sie etwas Verwirrung hinein, etwas Taumel fiel über sie her, etwas selige Müdigkeit beschlug sie... so daß man in ihr nicht mehr so klar, nicht mehr so rein leistend war, nicht mehr so unbeschränkt aktiv wie in dem engelhaften Wehen der Vor-Freude. Dort ging man, man stieg -, hier, in der Freude, war man über einen äußersten Rand gehalten und meinte nicht anders zeitweise, als zu fallen, weich und tief zu fallen. Denn, wer weiß, vielleicht ist das Leben so unendlich diskret, daß die Freude schon Einbildung ist: vielleicht ist ja das ganze Irdische, in seiner letzten Zusammenfassung, in der auch noch der größeste Schmerz, als eine Einzelheit, untergeht, nichts als eine einzige Vor-Freude - und die Freude, die uns hier überträfe, wartet anderswo.

Dec 02, 202104:48
Rilke: Vor Weihnachten 1914

Rilke: Vor Weihnachten 1914

Rainer Maria Rilke. Vor Weihnachten 1914

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Da kommst du nun, du altes zahmes Fest,

und willst, an mein einstiges Herz gepreßt,

getröstet sein. Ich soll dir sagen: du

bist immer noch die Seligkeit von einst

und ich bin wieder dunkles Kind und tu

die stillen Augen auf, in die du scheinst.

Gewiß, gewiß. Doch damals, da ichs war,

und du mich schön erschrecktest, wenn die Türen

aufsprangen – und dein wunderbar

nicht länger zu verhaltendes Verführen

sich stürzte über mich wie die Gefahr

reißender Freuden: damals selbst, empfand

ich damals dich? Um jeden Gegenstand

nach dem ich griff, war Schein von deinem Scheine,

doch plötzlich ward aus ihm und meiner Hand

ein neues Ding, das bange, fast gemeine#

Ding, das besitzen heißt. Und ich erschrak.

O wie doch alles, eh ich es berührte,

so rein und leicht in meinem Anschaun lag.

Und wenn es auch zum Eigentum verführte,

noch war es keins. Noch haftete ihm nicht

mein Handeln an; mein Mißverstehn; mein Wollen

es solle etwas sein, was es nicht war.

Noch war es klar

und klärte mein Gesicht.

Noch fiel es nicht, noch kam es nicht ins Rollen,

noch war es nicht das Ding, das widerspricht.

Da stand ich zögernd vor dem wundervollen

Un-Eigentum .....

2

(………Oh, daß ich nun vor dir

so stünde, Welt, so stünde, ohne Ende

anschauender. Und heb ich je die Hände

so lege nichts hinein; denn ich verlier.

Doch laß durch mich wie durch die Luft den Flug

der Vögel gehen. Laß mich, wie aus Schatten

und Wind gemischt, dem schwebenden Bezug

kühl fühlbar sein. Die Dinge, die wir hatten,

(oh sieh sie an, wie sie uns nachschaun) nie

erholen sie sich ganz. Nie nimmt sie wieder

der reine Raum. Die Schwere unsrer Glieder,

was an uns Abschied ist, kommt über sie.)

3

Auch dieses Fest laß los, mein Herz. Wo sind

Beweise, daß es dir gehört? Wie Wind

aufsteht und etwas biegt und etwas drängt,

so fängt in dir ein Fühlen an und geht

wohin? drängt was? biegt was? Und drüber

übersteht,

unfühlbar, Welt. Was willst du feiern, wenn

die Festlichkeit der Engel dir entweicht?

Was willst du fühlen? Ach, dein Fühlen reicht

vom Weinenden zum Nicht-mehr-Weinenden.

Doch drüber sind, unfühlbar, Himmel leicht

von zahllos Engeln. Dir unfühlbar. Du

kennst nur den Nicht-Schmerz. Die Sekunde Ruh

zwischen zwei Schmerzen. Kennst den kleinen Schlaf

im Lager der ermüdeten Geschicke.

Oh wie dich, Herz, vom ersten Augenblicke

das Übermaß des Daseins übertraf.

Du fühltest auf. Da türmte sich vor dir

zu Fühlendes: ein Ding, zwei Dinge, vier

bereite Dinge. Schönes Lächeln stand

in einem Antlitz. Wie erkannt

sah eine Blume zu dir auf. Da flog

ein Vogel durch dich hin wie durch die Luft.

Und war dein Blick zu voll, so kam ein Duft,

und war es Dufts genug, so bog ein Ton

sich dir ans Ohr … Schon

wähltest du und winktest: dieses nicht.

Und dein Besitz ward sichtbar am Verzicht.

Bang wie ein Sohn ging manches von dir fort

und sah sich lange um, und sieht von dort,

wo du nicht fühlst, noch immer her. O daß

du immer wieder wehren mußt: genug,

statt: mehr! zu rufen, statt Bezug

in dich zu reißen, wie der Abgrund Bäche?

Schwächliches Herz. Was soll ein Herz aus Schwäche?

Heißt Herz-sein nicht Bewältigung?

Daß aus dem Tier-Kreis mir mit einem Sprung

der Steinbock auf mein Herzgebirge spränge.

Geht nicht durch mich der Sterne Schwung?

Umfaß ich nicht das weltische Gedränge?

Was bin ich hier? Was war ich jung?


Gelesen von Benjamin Lucas.

Dec 01, 202106:57
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Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus.
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist der Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um

Nov 30, 202101:20