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Erkenntnistheoretiker Poems

Erkenntnistheoretiker Poems

By Erkenntnistheoretiker.de

Ich lese Gedichte in deutscher, englischer oder französischer Sprache, alle Literaten - hauptsächlich „klassischere“ Sachen.
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Frost - The Road not Taken

Erkenntnistheoretiker PoemsJan 14, 2021

00:00
01:04
Mörike - Im Frühling

Mörike - Im Frühling

Im Frühling

Eduard Mörike

Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag' mir, alleinzige Liebe,
Wo d u bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Liebe und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldner Kuss
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
- Alte unnennbare Tage!

Feb 05, 202201:17
Heine - Und wüsstens die Blumen

Heine - Und wüsstens die Blumen

Heinrich Heine: Und wüssten's die Blumen

Und wüssten's die Blumen, die kleinen,
Wie tief verwundet mein Herz,
Sie würden mit mir weinen,
Zu heilen meinen Schmerz.

Und wüssten's die Nachtigallen,
Wie ich so traurig und krank,
Sie ließen fröhlich erschallen
Erquickenden Gesang.

Und wüssten sie mein Wehe,
Die goldnen Sternelein,
Sie kämen aus ihrer Höhe,
Und sprächen Trost mir ein.

Die alle können's nicht wissen,
Nur Eine kennt meinen Schmerz:
Sie hat ja selbst zerrissen,
Zerrissen mir das Herz.

Nov 23, 202100:47
Henley - Invictus

Henley - Invictus

Invictus - William Ernest Henley

Out of the night that covers me, 

Black as the pit from pole to pole, 

I thank whatever gods may be

For my unconquerable soul.


In the fell clutch of circumstance

I have not winced nor cried aloud.

Under the bludgeonings of chance

My head is bloody, but unbowed.


Beyond this place of wrath and tears

Looms but the horror of the shade, 

And yet the menace of the years 

Finds and shall find me unafraid.


It matters not how strait the gate,

How charged with punishments the scroll, 

I am the master of my fate: I am the captain of my soul.


Nov 19, 202100:53
Droste-Hülshoff - Ein milder Wintertag

Droste-Hülshoff - Ein milder Wintertag

Ein milder Wintertag

An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt;

Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:

Da weiß ich, schön zum Malen,
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;

Ein trocken, windstill Eckchen,
Und so an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.

Will ich den Mantel dichte
Nun legen übers Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
Und dann auf meinen Schoß

Gezweig' und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel ich den Sommertag?

Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch das Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing' ich selbst ein Lied.

Und hat Natur zum Feste
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.


Annette von Droste-Hülshoff

Nov 12, 202101:17
Seidel - November

Seidel - November

November - Heinrich Seidel

Solchen Monat muß man loben:

Keiner kann wie dieser toben,

keiner so verdrießlich sein

und so ohne Sonnenschein!


Keiner so in Wolken maulen,

keiner so mit Sturmwind graulen!

Und wie naß er alles macht!

Ja, es ist ′ne wahre Pracht.


Seht das schöne Schlackerwetter!

Und die armen welken Blätter,

wie sie tanzen in dem Wind

und so ganz verloren sind!

Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt

und sie durcheinander wirbelt

und sie hetzt ohn′ Unterlaß:

Ja, das ist Novemberspaß!


Und die Scheiben, wie sie rinnen!

Und die Wolken, wie sie spinnen

ihren feuchten Himmelstau

Ur und ewig, trüb und grau!

Auf dem Dach die Regentropfen:

Wie sie pochen, wie sie klopfen!

Schimmernd hängt′s an jedem Zweig,

einer dicken Träne gleich.


Oh, wie ist der Mann zu loben,

der solch unvernüft′ges Toben

schon im voraus hat bedacht

und die Häuser hohl gemacht;

sodaß wir im Trocknen hausen

und mit stillvergnügtem Grausen

und in wohlgeborgner Ruh

solchem Greuel schauen zu.

Nov 02, 202101:25
Hesse - Die Welt unser Traum

Hesse - Die Welt unser Traum

Die Welt unser Traum

Nachts im Traum die Städt’ und Leute,
Ungeheuer, Luftgebäude,
alle, weißt du, alle steigen
aus der Seele dunklem Raum,
sind dein Bild und Werk, dein eigen,
sind dein Traum.

Geh am Tag durch Stadt und Gassen,
schau in Wolken, in Gesichter,
und du wirst verwundert fassen:
Sie sind dein, du bist ihr Dichter!
Alles, was vor deinen Sinnen
hundertfältig lebt und gaukelt,
ist ja dein, ist in dir innen,
Traum, den deine Seele schaukelt.
Durch dich selber ewig schreitend,
bald beschränkend dich, bald weitend,
bist du Redner und Hörer,
bist du Schöpfer und Zerstörer.
Zauberkräfte, längst vergeß'ne,
spinnen heiligen Betrug,
und die Welt, die unermeß'ne,
lebt von deinem Atemzug.

Jul 13, 202101:06
Rilke - Der Sommerregen

Rilke - Der Sommerregen

Der Sommerregen

Auf einmal ist aus allem Grün im Park
man weiß nicht was, ein Etwas fortgenommen;
man fühlt ihn näher an die Fenster kommen
und schweigsam sein. 

Inständig nur und stark, ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer,
man denkt an einen Hieronymus:
so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer
aus dieser einen Stimme,
die der Guss erhören wird.

Des Saales Wände sind
mit ihren Bildern von uns fortgetreten,
als dürften sie nicht hören was wir sagen.

Es spiegeln die verblichenen Tapeten
das ungewisse Licht von Nachmittagen,
in denen man sich fürchtet als Kind.

Jun 22, 202100:53
Schiller - Der Handschuh

Schiller - Der Handschuh

Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.
Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wirds still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
»Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mirs schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehens die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verläßt sie zur selben Stunde.

Jun 08, 202102:37
Maya Angelou - When Great Trees Fall

Maya Angelou - When Great Trees Fall

When Great Trees Fall - Maya Angelou


When great trees fall,

rocks on distant hills shudder,

lions hunker down

in tall grasses,

and even elephants

lumber after safety.


When great trees fall in forests,

small things recoil into silence,

their senses eroded beyond fear.


When great souls die,

the air around us becomes 

light, rare, sterile.

We breathe, briefly.

Our eyes, briefly, see with a hurtful clarity.

Our memory, suddenly sharpened,

examines, gnaws on kind words unsaid,

promised walks never taken.


Great souls die and our reality, 

bound to them, takes leave of us.

Our souls, dependent upon their nurture,

now shrink, wizened.

Our minds, formed and informed by their radiance,

fall away. 

We are not so much maddened as reduced 

to the unutterable ignorance

of dark, cold caves.


And when great souls die,

after a period peace blooms,

slowly and always irregularly. 

Spaces fill with a kind of soothing electric vibration.

Our senses, restored, never to be the same, 

whisper to us: They existed. They existed.

We can be. Be and be better. For they existed.


*In memory of my good friend Larry St Onge (1964 - 2021)*

May 28, 202102:04
Mareuil - Schön ist es, wenn sich Lüfte regen

Mareuil - Schön ist es, wenn sich Lüfte regen

Schön ist's, wenn sich Lüfte regen
Im April, eh' Mai erwacht.
Nachtigall und Elster pflegen
Sangs die ganze heit're Nacht.
Will der Morgen dann erscheinen,
Schallt's von neuem fröhlich laut,
Und ein jedes von den Kleinen
Hat sein Weibchen süss und traut.

Und wenn alle Knospen springen,
Alle Erdenwelt sich freut,
Regt sich's auch in mir, zu singen
Von der Liebe Seligkeit;
Und Natur und Sitte geben
Neigung mir zu Lust und Scherz,
Wenn in sanfter Lüfte Weben
Mir so selig wird ums Herz.

Weisser ist sie als Helene,
Schöner als die Knospe zart,
Ihre blendend weissen Zähne
Bergen Worte holder Art.
Reines Herz voll edler Güte,
Frische Wange, blondes Haar -
Gott erhalte diese Blüte,
Die er schuf so wunderbar!

Liess' sie mich ihr Herz erkennen,
All mein Sehnen würde still,
Einmal möcht' ich mein sie nennen
Und noch oftmals, wenn sie will.
Im Vereine woll'n wir ziehen
Oft dann in die Frühlingsau -
All dies Glück kann mir erblühen
Von der holden, schönen Frau.

(Arnaut de Mareuil, 12. Jh., Troubadour der franz. Lyrik)

Apr 28, 202101:25
Mörike - Im Frühling

Mörike - Im Frühling

Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag' mir, alleinzige Liebe,
Wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Liebe und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldner Kuss
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
- Alte unnennbare Tage!

Mar 15, 202101:18
Heine - Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Heine - Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,

Die hat einen andern erwählt;

Der andre liebt eine andre,

Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger

Den ersten besten Mann,

Der ihr in den Weg gelaufen;

Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,

Doch bleibt sie immer neu;

Und wem sie just passieret,

Dem bricht das Herz entzwei.

Feb 22, 202100:37
Poe - An den Fluss

Poe - An den Fluss

An den Fluss

Du schöner Fluß mit deiner Flut,

Die niemals stille hält.

Du bist ein Bild von Jugendmut,

Von einem Herzen unverstellt.

Doch wenn in dein kristallnes Blau,

Das trübe Augen scheuen,

Die Liebste blickt, gleichst du genau

Mir selbst, ihrem Getreuen.

Denn dies Herz birgt wie du so rein

Ihr Bild und strahlt bewegt,

Wenn es den teuren Widerschein

In seinen Tiefen hegt.


E. A. Poe

Feb 03, 202100:40
Goethe - Der Fischer

Goethe - Der Fischer

Der Fischer

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor;
aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut
mit Menschenwitz und Menschenlist
hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
nicht her in ew'gen Tau?

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
netzt' ihm den nackten Fuß
sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
da war's um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn.

Johann Wolfgang von Goethe, 1778


Feb 01, 202101:21
Frost - The Road not Taken
Jan 14, 202101:04
Rainer Maria Rilke - Advent

Rainer Maria Rilke - Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird.
Und lauscht hinaus: den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.


Bonus:

Advent, Advent,

ein Lichtlein brennt.

Erst ein, dann zwei,

dann drei, dann vier,

dann steht das Christkind vor der Tür.



Und wenn die fünfte Kerze brennt,

dann hast du Weihnachten verpennt!

Dec 18, 202000:52
Krüss - Dunkel wars, der Mond schien helle

Krüss - Dunkel wars, der Mond schien helle

Dunkel wars, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzesschnelle
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase
auf der Wiese Schlittschuh lief.

Und auf einer roten Banke,
die blau angestrichen war,
saß ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar.

Neben ihm die alte Schachtel,
zählte kaum erst sechzehn Jahr,
und sie aß 'ne Butterbemme,
die mit Schmalz bestrichen war.

Droben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume
und an Nüssen noch genug.

Dec 10, 202000:57
Wilhelm Busch - Wankelmut

Wilhelm Busch - Wankelmut

Wankelmut

Was bin ich alter Bösewicht
So wankelig von Sinne.
Ein leeres Glas gefällt mir nicht,
Ich will, das was darinne.

Das ist mir so ein dürr Geklirr;
He, Kellnerin, erscheine!
Laß dieses öde Trinkgeschirr
Befeuchtet sein von Weine!

Nun will mir aber dieses auch
Nur kurze Zeit gefallen;
Hinunter muß es durch den Schlauch
Zur dunklen Tiefe wallen. -

So schwank ich ohne Unterlaß
Hinwieder zwischen beiden.
Ein volles Glas, ein leeres Glas
Mag ich nicht lange leiden.

Ich bin gerade so als wie
Der Erzbischof von Köllen,
Er leert sein Gläslein wuppheidi
Und läßt es wieder völlen

Nov 23, 202000:50
Grillparzer - Der Halbmond glänzet am Himmel

Grillparzer - Der Halbmond glänzet am Himmel

Der Halbmond glänzet am Himmel


Der Halbmond glänzet am Himmel,

Und es ist neblicht und kalt.

Gegrüßt sei du Halber dort oben,

Wie du, bin ich einer, der halb.

Halb gut, halb übel geboren,

Und dürftig in beider Gestalt,

Mein Gutes ohne Würde,

Das Böse ohne Gewalt.

Halb schmeckt ich die Freuden des Lebens,

Nichts ganz als meine Reu;

Die ersten Bissen genossen,

Schien alles mir einerlei.

Halb gab ich mich hin den Musen,

Und sie erhörten mich halb;

Hart auf der Hälfte des Lebens

Entflohn sie und ließen mich alt.

Und also sitz ich verdrossen,

Doch läßt die Zersplitterung nach;

Die leere Hälfte der Seele

Verdrängt die noch volle gemach.

Franz Grillparzer
(* 15.01.1791, † 21.01.1872)

Nov 06, 202000:59
Herder - An die Freundschaft

Herder - An die Freundschaft

Johann Gottfried Herder (1744-1803)
An die Freundschaft
Heil'ge Freundschaft, die auf Engelsflügeln
Sich emporschwang zu den sel'gen Hügeln,
Unser Erdenland verließ
Und ging auf ins Väterparadies,
Wo sie noch aus guten Mutterhänden
Uns ihr Kind zuweilen her will senden,
Liebe, die auch irre geht
Und für Treue öfters Reu empfäht –
Holde Freundschaft, kehr, o kehre wieder,
Hand und Herzen bindend, zu uns nieder!
Ohne Dich ist Alles leer,
Auch die Liebe selbst nicht Liebe mehr.
Wenn Du Dich uns länger, länger raubest
Und Dein Bild dem süßen Trug erlaubest,
O, so wird Dein Menschenreich
Bald dem wüsten, wilden Chaos gleich.
Oct 22, 202000:50
Brentano - der Mensch ist frei

Brentano - der Mensch ist frei

Der Mensch ist frei

Der Mensch ist frei

Er kann sein Teil sich wählen

Er kann begeistert sein

Er kann die Sterne zählen,

Die mit des Lichtes Schein

Den ewgen Willen Gottes ihm vermählen,

Der Mensch ist frei,

Wo herrlich eine Flamme

Des Schöpfers glüht,

Ob sie vom Schwerte stamme

Ob aus dem Ölzweig blüht,

Da stürzt der Geist

Wie Meerflut aus dem Damme,

Und wenn er gleich manch friedlos Werk zerreißt

So keimt doch Segen aus der Zorngen Streit

Nach ewigen Gesetzen lebt die Zeit.

Und wie Gewitterwolken und die Blitze

Zur Erde niederschmettern

So auch der Krieg.

Weh wer mit feigem Witze,

Ein Obdach unter Eichen sucht vor Wettern,

Die Eiche und der Feige wird getroffen,

Was hat der Feige in der Welt zu hoffen

Er ist schon tot, er war von jeher tot

Und ewig stirbt er, sterben ist sein Leben,

Der sich entzieht dem heiligsten Gebet,

Dem wird kein Gott, kein Sieg je niederschweben.


Clemens Brentano
Oct 16, 202001:13
Kästner - Die Entwicklung der Menschheit

Kästner - Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
Oct 14, 202001:32
Kafka - Erkenne Dich selbst

Kafka - Erkenne Dich selbst

Erkenne Dich selbst

Erkenne Dich selbst bedeutet nicht:

Beobachte Dich.

Beobachte

Dich ist das Wort der Schlange.

Es bedeutet:

Mache Dich zum Herrn Deiner Handlungen.



Nun bist Du es aber schon,

bist Herr Deiner Handlungen.

Das Wort bedeutet also: Verkenne Dich!

Zerstöre Dich!

Also etwas Böses

und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugt,

hört man auch sein Gutes, welches lautet:

"um Dich zu dem zu machen, der Du bist."
Sep 17, 202000:42
W. H. Auden - Funeral Blues

W. H. Auden - Funeral Blues


Stop all the clocks, cut off the telephone,
Prevent the dog from barking with a juicy bone,
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come.

Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message He Is Dead,
Put crepe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.

He was my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
I thought that love would last for ever: I was wrong.

The stars are not wanted now: put out every one;
Pack up the moon and dismantle the sun;
Pour away the ocean and sweep up the wood;
For nothing now can ever come to any good.
Sep 10, 202001:14
Hebbel - Sommerbild

Hebbel - Sommerbild

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
Aug 31, 202000:30
Goethe - freudvoll und leidvoll

Goethe - freudvoll und leidvoll

Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Aug 13, 202000:20
Hermann Hesse - Stufen

Hermann Hesse - Stufen

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Aug 13, 202001:22
August 13, 2020

August 13, 2020

Aug 13, 202000:33